Samstag, 21. Mai 2011

Diejenigen, die das Freund-Feind-Denken verurteilen, pflegen dasselbe gegen diejenigen, die es empfehlen
Sixtinische Kapelle, Anno Domini 1512. Michelangelo weist dem Papst Julius II. die Früchte seiner Arbeit.

Papst. Also—ah, ja, gut.
Michelangelo. Danke, Eure Heiligkeit.
Papst. Das ist ganz . . . was ist das?
Michelangelo. Was?
Papst. Das . . . der große Klecks da.
Michelangelo. Gott, Eure Heiligkeit.
Papst. Gott?
Michelangelo. Ja, Sie wissen schon, reiner Akt, notwendiges Sein, unendlicher Grund aller—
Papst. Ja, ja, aber ich meine . . . das ist ein großer Klecks.
Michelangelo. Nun, da gibts eine ganze Reihe von Darstellungs-schwierigkeiten bei einem unkörperlichen—
Papst. Nein, nein, das geht ganz und gar nicht! Sie müssen das einfach richtig übermalen.
Michelangelo. Jawohl, Eure Heiligkeit.

Am darauffolgenden Dienstag

Papst. Na, was haben . . . aha!—ein strenggesichtiger Bursche mit Bart. Ja, ja, das ist schon besser!
Michelangelo. Danke, Eure Heiligkeit.
Papst. Genau das Richtige. Und insgesamt nicht wenig.
Michelangelo. Danke, Eure Heiligkeit, es ist nur eine Kleinigkeit.
Papst. Gar nicht, gar nicht. Nun also, betreffs meines Badezimmers . . .
Es ist etwas Schreckliches geschehen: man hat den losgelassenen Begierden der von der Wissenschaft gefühlsmäßig ergriffenen Menschen den Ehrennamen der Vernunft verliehen.

Sonntag, 15. Mai 2011

Aus einem Volk der Ladenbesitzer stammen auch Dichter und Denker, und zwar im Dutzend viel billiger.

Gegen die organisierte Dummheit kann man wenig tun, außer zu hoffen, daß sie unabsichtlich ihren eigenen Niedergang organisieren wird.

Freitag, 13. Mai 2011


Wenn sich Menschen des Abendlandes versammeln, um zu fragen, warum es untergegangen ist, so erhascht man fast sicher noch einen Blick auf die Antwort.
Tugendhaft zu werden ist keine leichte Aufgabe, weshalb sie in unserem Zeitalter als übele Last betrachtet wird.

Donnerstag, 12. Mai 2011

Die große Unmenschlichkeit des Liberalismus besteht darin, daß es wunschbildlich gleichgültig dagegen ist, wie jedermann als bestimmter Mensch verkörpert ist. Vielmehr soll jedermann als völlig austauschbare Einheit in einem System, das alles nur in der Abstraktion hält, gleich (»gerecht«) behandelt werden. Rasse, Kultur, Geschlecht, Überlieferung, geschichtliche Beziehungen, gesellschaftliche Bindungen sollen ohne Bedeutung sein. Dergleichen sind im Namen der Freiheit und des Fortschritts zu verstecken oder zerstören; und wer diesem riesenhaften Übel im Weg steht, dieser unvergleichlichen Zerstörung und Gegebenheitsverdüsterung, und wer sich für den Stellenwert und die Eigentümlichkeit einer oder anderer dieser Seiten der Wirklichkeit ausspricht, der muß als übel und wahnhaft verachtet werden. Sogenannte gute und freie Menschen dagegen—mit anderen Worten: die Heerschar der dem Liberalentum unterworfenen Leibeigenen—sollen mit Rassenblindheit, mit Kulturneutralität, mit Gleichgültigkeit gegenüber dem Verstecken und der Zerstörung fast alles dessen, was für eigentümliche, verkörperte Menschen sorgt, prahlen; und das warme Gefühl, das ihnen dadurch verliehen wird, mag als Lohn dafür stehen, daß sie Dienst an etwas leisten, was nicht einmal um ihret-, auch nicht um der Gesamtmenschheit, sondern um der Wirksamkeit eines unpersönlichen Regimes willen vorliegt—und dies alles unter Anleitung eines unmenschlichen Wunschbildes.

Dienstag, 10. Mai 2011

Man mag hoffen, daß, so wie sich niemand heutzutage würde einfallen lassen, ein Schiff durch ein Perpetuum mobile anzutreiben, so auch sich niemand eines Tages wird einfallen lassen, eine Regierung auf die Vorstellung der Gleichfreiheit zu gründen.
Wenn die Welt zu einem Affenzwinger wird, kommt es nicht davon, daß sie von Edelmännern überlaufen worden ist.

Montag, 9. Mai 2011

Das allerbeste Regime

Helgast. Sag mir, Saeligwer, was ist das allerbeste Regime?
Saeligwer. Das allerbeste ist bestimmt dasjenige, was das größte Glück der größten Zahl hervorbringt.
Helgast. Dann würdest du nicht sagen, daß wir, wenn wir die technischen Mittel hätten, alle Menschen glücklich und schmerzfrei zu machen, gemäß unserer Ethik verpflichtet wären, diese Mittel zu verwenden?
Saeligwer. Doch, und je eher und umfassender, desto besser. Solange und soweit wir sie nicht verwenden, leiden ja die Menschen.
Helgast. Ganz recht. Also, wenn das einzige Gute das Glück, und das einzige Böse das Unglück ist, und wenn Glück nur Lust oder vielmehr Wohlgefühl, und Unglück nur Unlust oder vielmehr Schmerz ist, wie wir schon längst anerkennen, dann, um eine bessere Welt zu machen, sollten wir nicht etwa gegen diejenigen Dinge und Ereignisse in der Welt ankämpfen, die wir für böse halten.
Saeligwer. Warum denn nicht?
Helgast. Erstens kann man sie nicht einfach aus der Welt wegnehmen, und zweitens wohnt diesen Dingen und Ereignissen nicht tatsächlich das Böse inne. Da wir ganz genau wissen, daß Dinge und Ereignisse nicht böse an sich sind, wäre es unsinnig, gegen sie anzukämpfen, als ob sie wären.
Saeligwer. Es stimmt schon, aber führen diese nicht das Böse herbei?
Helgast. Was ist das Böse? Nur ein Gefühl! Darin liegt es von Anfang bis zum Ende. Das muß aber nicht so sein. Entstehen muß es nimmer. Mögen wir doch endlich aufhören, in priesterlich-abergläubischem Müll umherzutasten, und hoch hinaufstreben!
Saeligwer. Was schwebt dir da denn vor?
Helgast. Wir sollten folgendermaßen verfahren: gegen das Fühlen, daß Dinge und Ereignisse böse sind, sollten wir ankämpfen. Denn das Böse ist, nur sofern es gefühlt wird, und ist so, nur wie es gefühlt wird. Nichts mehr. Wo ein Gefühl des Bösen nicht besteht, da besteht überhaupt kein Böses. Enthielte die Welt gar keine Gefühle, so gäbe es kein Gutes oder Böses darin; enthielte die Welt dagegen nur die Gefühle des Guten, so würde das Gute allein herrschen. Da nichts böse an sich ist, sondern nur sofern und wie es gefühlt wird, so ist es sinnvoll, das Böse anzufassen, worin es eigentlich liegt, das heißt, in Gefühlen und nicht in Dingen und Ereignissen.
Saeligwer. Großer Gott—du hast Recht! Fühlten alle, daß alles gut wäre, so gäbe es kein Böses, nur Gutes.
Helgast. Unter unserem Regime wären alle Menschen so konstruiert, daß sie unter allen Umständen glücklich wären. Kein Mensch würde die kleinstmöglichen Beleidigungen noch die größtmöglichen Folterungen leiden; und alle derartigen Taten wären doch erlaubt, denn keine Tat würde als böse oder schmerzhaft gefühlt werden, sondern nur als gut, und folglich wäre so.
Saeligwer. Denn Gut und Böse sind nur in Gefühlen und nicht in Dingen und Ereignissen.
Helgast. Genau. Könnten wir es so schaffen, daß jedermann über Mord und Todschlag glücklich wäre, gleichviel ob als Täter, Opfer, Zuschauer oder Nahestehender, so würden auch solche Bösen dabei zum Ende kommen. Wir kämpfen also nicht für die Tugend noch gegen das Laster, sondern für eine Neueinstellung aller Gefühle auf Lust. Auf dieser Weise besiegen wir das Böse und bekränzen das Gute.
Saeligwer. Unsere Vorfahren waren auf dem Holzweg!
Helgast. So scheint es.
Saeligwer. Und doch ist nicht unser Weg bloß ein schöner Traum? Wie errichtet man solch ein Regime?
Helgast. Das gehört nicht ganz zur Sache. Zweifellos gäbe es Neuro-, Gen- und Sozialtechnik, Neuropharmazeutik, Seelen-umformung und so weiter. Hier aber befassen wir uns nicht mit den Feinheiten der möglichen Mittel, sondern lediglich mit dem Wunschbild und der Richtigkeit des Zwecks, nämlich den Menschen so umzugestalten, daß, wie auch immer ihm die Eingabe sein möge, die Ausgabe als Lust und Wohlgefühl erfolgen wird. Die Technik wird uns ja bessere Mittel bringen, als diejenigen, die wir schon haben. Ich sage jedoch nicht, daß sich unser Regime verwirklichen wird, sondern nur, daß es grundsätzlich das allerbeste ist. Es mag wohl nur noch ein entfernter Traum bleiben, zu schön für die Menschheit, außer Reichweite der Technik, aber in Anbetracht dessen, was der neuzeitliche Mensch bereits glaubt, kommt es doch schon in Sicht.
Saeligwer. Meinst du, der weltanschaulichen Boden sei schon bereitet?
Helgast. Größtenteils. Allenthalben geht man davon aus, daß das Glück, wobei man die Lust oder das Wohlgefühl meint, das einzige Gute ist. Danach beurteilt man alle Regime aus Gegenwart und Vergangenheit, gegebenenfalls mit Lob oder Ablehnung, und ebenso müßte man aus dem gleichen Grund einräumen, daß das unsrige das allerbeste wäre. Aber in dieser Hinsicht spielen Trägheit und Folgewidrigkeit leider noch immer eine Rolle. Denkweise und Handlung haben sich der zugrundeliegenden Annahme noch nicht völlig angeglichen. Es verbleiben noch immer zu viele alte Verhaltensmuster, allein durch Gewohnheit und Gefühlsduselei gehalten. Doch hier gibt es viel Hoffnung. Denn mit der Zeit und ohne jene stützenden und richtunggebenden Ursachen werden diese Verhaltensmuster schwinden. Um zum allerbesten Regime zu gelangen, braucht sich der neuzeitliche Mensch endlich von alten Gewohnheiten und Aberglauben loszureißen und völlig an Erkenntnis und Aufklärung anzupassen.
Saeligwer. Aber liegt hier nicht ein Problem? Wenn der Mensch volle Aufklärung erzielt und so den Mord erlaubt, da dieser nicht böser wäre, als einen Apfel zu essen, vorausgesetzt, daß die Gefühle dabei gleich wären, dann würde dies nicht zum Zweck, das größte Glück der größten Zahl hervorzubringen, im Widerspruch stehen? Denn sicherlich bedeutet jeder Mord ein Mensch weniger, der sonst zu den Glücklichen gezählt worden wäre.
Helgast. Du machst, mein lieber Saeligwer, einen recht merkwürdigen Fehlgriff. Immer wenn wir von dem größten Glück der größten Zahl sprechen, verstehen wir natürlich darunter nur die größte Zahl deren, die tatsächlich leben. Es wäre vernunftwidrig, diejenigen zu zählen, die nicht leben. Unser Anliegen gilt den Lebenden allein. Die Hölle soll die Anderen besorgen!
Saeligwer. Ah ja, genau. Ich verstehe. Streben wir denn danach, einen Himmel des unveräußerlichen Gesamtglückes für alle Lebenden zu stiften!—unveräußerlich also bis rauf zum Augenblick des Todes!
Helgast. Laß uns es tun. Das Glück der Menschheit hat uns immer am Herzen gelegen. Erst jetzt haben wir wahrlich die Aussicht, ihre Erlöser zu werden.

Sonntag, 8. Mai 2011

An der Anzahl der soziologischen Entwürfe für unsere Erlösung könnten wir die Tiefe unseres Untergangs messen.
»Europa ist ein Kranker, der seiner Unheilbarkeit und ewigen Verwandelung seines Leidens den höchsten Dank schuldig ist; diese beständigen neuen Lagen, diese ebenso beständigen neuen Gefahren, Schmerzen und Auskunftsmittel haben zuletzt eine intellectuale Reizbarkeit erzeugt, welche beinahe so viel, als Genie, und jedenfalls die Mutter alles Genie’s ist.« [1]

So hat ein eigenbrötlerischer Seelenforscher einst gesagt. Aber wie dem auch gewesen sein mag, so scheint es heute, daß der Kranke ein selbstmörderisches Fieber und einen häßlichen Ausschlag der Dummheit bekommen hat.
. . .

1. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 1. Buch, §.24, in Sämtliche Werke: Kritische Studienausgabe, Bd.3 (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1999), S.398. (Wo Nietzsche Unrecht hatte, war er interessant, und da er oft Unrecht hatte, war er oft interessant.)
Alle abgerundeten, verständigen Menschen stehen mit den Füßen auf dem Bodenund dem Kopf in den Wolken.
Der Reaktionär hat nicht die Absicht, die altehrwürdige konservative Tradition von Rückzug an allen Fronten beizubehalten.
Die große Umwälzung kommt in ihren Untiefen an. Totenähnlich ist die alte Kultur und Überlieferung Europas. Das Bedeutendste, was übrig bleibt, ist die nunmehr versaute Rasse, die der Keim jener Ordnung war; und jetzt kommt die Zeit, wo jener Keim zu zerstören ist. Jakobiner und Bolschewiken waren nur Bodenbereiter. Unsere Liberalen und Konservativen, unsere sanften Totschläger, Lichthasser, zimperlich und feige, diese vor starker Realität scheuenden Weichlinge und Angstlinge, ― diese sind die wahren Tiefforscher, die allertiefsten Umsturzer, die das immerwährend versunkene Leben suchen.