Das allerbeste Regime
Helgast. Sag mir, Saeligwer, was ist das allerbeste Regime?
Saeligwer. Das allerbeste ist bestimmt dasjenige, was das größte Glück der größten Zahl hervorbringt.
Helgast. Dann würdest du nicht sagen, daß wir, wenn wir die technischen Mittel hätten, alle Menschen glücklich und schmerzfrei zu machen, gemäß unserer Ethik verpflichtet wären, diese Mittel zu verwenden?
Saeligwer. Doch, und je eher und umfassender, desto besser. Solange und soweit wir sie nicht verwenden, leiden ja die Menschen.
Helgast. Ganz recht. Also, wenn das einzige Gute das Glück, und das einzige Böse das Unglück ist, und wenn Glück nur Lust oder vielmehr Wohlgefühl, und Unglück nur Unlust oder vielmehr Schmerz ist, wie wir schon längst anerkennen, dann, um eine bessere Welt zu machen, sollten wir nicht etwa gegen diejenigen Dinge und Ereignisse in der Welt ankämpfen, die wir für böse halten.
Saeligwer. Warum denn nicht?
Helgast. Erstens kann man sie nicht einfach aus der Welt wegnehmen, und zweitens wohnt diesen Dingen und Ereignissen nicht tatsächlich das Böse inne. Da wir ganz genau wissen, daß Dinge und Ereignisse nicht böse an sich sind, wäre es unsinnig, gegen sie anzukämpfen, als ob sie wären.
Saeligwer. Es stimmt schon, aber führen diese nicht das Böse herbei?
Helgast. Was ist das Böse? Nur ein Gefühl! Darin liegt es von Anfang bis zum Ende. Das muß aber nicht so sein. Entstehen muß es nimmer. Mögen wir doch endlich aufhören, in priesterlich-abergläubischem Müll umherzutasten, und hoch hinaufstreben!
Saeligwer. Was schwebt dir da denn vor?
Helgast. Wir sollten folgendermaßen verfahren: gegen das Fühlen, daß Dinge und Ereignisse böse sind, sollten wir ankämpfen. Denn das Böse ist, nur sofern es gefühlt wird, und ist so, nur wie es gefühlt wird. Nichts mehr. Wo ein Gefühl des Bösen nicht besteht, da besteht überhaupt kein Böses. Enthielte die Welt gar keine Gefühle, so gäbe es kein Gutes oder Böses darin; enthielte die Welt dagegen nur die Gefühle des Guten, so würde das Gute allein herrschen. Da nichts böse an sich ist, sondern nur sofern und wie es gefühlt wird, so ist es sinnvoll, das Böse anzufassen, worin es eigentlich liegt, das heißt, in Gefühlen und nicht in Dingen und Ereignissen.
Saeligwer. Großer Gott—du hast Recht! Fühlten alle, daß alles gut wäre, so gäbe es kein Böses, nur Gutes.
Helgast. Unter unserem Regime wären alle Menschen so konstruiert, daß sie unter allen Umständen glücklich wären. Kein Mensch würde die kleinstmöglichen Beleidigungen noch die größtmöglichen Folterungen leiden; und alle derartigen Taten wären doch erlaubt, denn keine Tat würde als böse oder schmerzhaft gefühlt werden, sondern nur als gut, und folglich wäre so.
Saeligwer. Denn Gut und Böse sind nur in Gefühlen und nicht in Dingen und Ereignissen.
Helgast. Genau. Könnten wir es so schaffen, daß jedermann über Mord und Todschlag glücklich wäre, gleichviel ob als Täter, Opfer, Zuschauer oder Nahestehender, so würden auch solche Bösen dabei zum Ende kommen. Wir kämpfen also nicht für die Tugend noch gegen das Laster, sondern für eine Neueinstellung aller Gefühle auf Lust. Auf dieser Weise besiegen wir das Böse und bekränzen das Gute.
Saeligwer. Unsere Vorfahren waren auf dem Holzweg!
Helgast. So scheint es.
Saeligwer. Und doch ist nicht unser Weg bloß ein schöner Traum? Wie errichtet man solch ein Regime?
Helgast. Das gehört nicht ganz zur Sache. Zweifellos gäbe es Neuro-, Gen- und Sozialtechnik, Neuropharmazeutik, Seelen-umformung und so weiter. Hier aber befassen wir uns nicht mit den Feinheiten der möglichen Mittel, sondern lediglich mit dem Wunschbild und der Richtigkeit des Zwecks, nämlich den Menschen so umzugestalten, daß, wie auch immer ihm die Eingabe sein möge, die Ausgabe als Lust und Wohlgefühl erfolgen wird. Die Technik wird uns ja bessere Mittel bringen, als diejenigen, die wir schon haben. Ich sage jedoch nicht, daß sich unser Regime verwirklichen wird, sondern nur, daß es grundsätzlich das allerbeste ist. Es mag wohl nur noch ein entfernter Traum bleiben, zu schön für die Menschheit, außer Reichweite der Technik, aber in Anbetracht dessen, was der neuzeitliche Mensch bereits glaubt, kommt es doch schon in Sicht.
Saeligwer. Meinst du, der weltanschaulichen Boden sei schon bereitet?
Helgast. Größtenteils. Allenthalben geht man davon aus, daß das Glück, wobei man die Lust oder das Wohlgefühl meint, das einzige Gute ist. Danach beurteilt man alle Regime aus Gegenwart und Vergangenheit, gegebenenfalls mit Lob oder Ablehnung, und ebenso müßte man aus dem gleichen Grund einräumen, daß das unsrige das allerbeste wäre. Aber in dieser Hinsicht spielen Trägheit und Folgewidrigkeit leider noch immer eine Rolle. Denkweise und Handlung haben sich der zugrundeliegenden Annahme noch nicht völlig angeglichen. Es verbleiben noch immer zu viele alte Verhaltensmuster, allein durch Gewohnheit und Gefühlsduselei gehalten. Doch hier gibt es viel Hoffnung. Denn mit der Zeit und ohne jene stützenden und richtunggebenden Ursachen werden diese Verhaltensmuster schwinden. Um zum allerbesten Regime zu gelangen, braucht sich der neuzeitliche Mensch endlich von alten Gewohnheiten und Aberglauben loszureißen und völlig an Erkenntnis und Aufklärung anzupassen.
Saeligwer. Aber liegt hier nicht ein Problem? Wenn der Mensch volle Aufklärung erzielt und so den Mord erlaubt, da dieser nicht böser wäre, als einen Apfel zu essen, vorausgesetzt, daß die Gefühle dabei gleich wären, dann würde dies nicht zum Zweck, das größte Glück der größten Zahl hervorzubringen, im Widerspruch stehen? Denn sicherlich bedeutet jeder Mord ein Mensch weniger, der sonst zu den Glücklichen gezählt worden wäre.
Helgast. Du machst, mein lieber Saeligwer, einen recht merkwürdigen Fehlgriff. Immer wenn wir von dem größten Glück der größten Zahl sprechen, verstehen wir natürlich darunter nur die größte Zahl deren, die tatsächlich leben. Es wäre vernunftwidrig, diejenigen zu zählen, die nicht leben. Unser Anliegen gilt den Lebenden allein. Die Hölle soll die Anderen besorgen!
Saeligwer. Ah ja, genau. Ich verstehe. Streben wir denn danach, einen Himmel des unveräußerlichen Gesamtglückes für alle Lebenden zu stiften!—unveräußerlich also bis rauf zum Augenblick des Todes!
Helgast. Laß uns es tun. Das Glück der Menschheit hat uns immer am Herzen gelegen. Erst jetzt haben wir wahrlich die Aussicht, ihre Erlöser zu werden.