Sonntag, 8. Mai 2011

An der Anzahl der soziologischen Entwürfe für unsere Erlösung könnten wir die Tiefe unseres Untergangs messen.
»Europa ist ein Kranker, der seiner Unheilbarkeit und ewigen Verwandelung seines Leidens den höchsten Dank schuldig ist; diese beständigen neuen Lagen, diese ebenso beständigen neuen Gefahren, Schmerzen und Auskunftsmittel haben zuletzt eine intellectuale Reizbarkeit erzeugt, welche beinahe so viel, als Genie, und jedenfalls die Mutter alles Genie’s ist.« [1]

So hat ein eigenbrötlerischer Seelenforscher einst gesagt. Aber wie dem auch gewesen sein mag, so scheint es heute, daß der Kranke ein selbstmörderisches Fieber und einen häßlichen Ausschlag der Dummheit bekommen hat.
. . .

1. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 1. Buch, §.24, in Sämtliche Werke: Kritische Studienausgabe, Bd.3 (München: Deutscher Taschenbuch Verlag, 1999), S.398. (Wo Nietzsche Unrecht hatte, war er interessant, und da er oft Unrecht hatte, war er oft interessant.)
Alle abgerundeten, verständigen Menschen stehen mit den Füßen auf dem Bodenund dem Kopf in den Wolken.
Der Reaktionär hat nicht die Absicht, die altehrwürdige konservative Tradition von Rückzug an allen Fronten beizubehalten.
Die große Umwälzung kommt in ihren Untiefen an. Totenähnlich ist die alte Kultur und Überlieferung Europas. Das Bedeutendste, was übrig bleibt, ist die nunmehr versaute Rasse, die der Keim jener Ordnung war; und jetzt kommt die Zeit, wo jener Keim zu zerstören ist. Jakobiner und Bolschewiken waren nur Bodenbereiter. Unsere Liberalen und Konservativen, unsere sanften Totschläger, Lichthasser, zimperlich und feige, diese vor starker Realität scheuenden Weichlinge und Angstlinge, ― diese sind die wahren Tiefforscher, die allertiefsten Umsturzer, die das immerwährend versunkene Leben suchen.